
Motivations-Power von Gamification richtig nutzen
Im zweiten Teil unserer Blogbeitragsreihe zum Thema Gamification wollen wir uns mit einem ganz grundlegenden Thema beschäftigen, das unser tägliches Handeln so sehr bestimmt wie kein anderes. Ist es wirklich bloß der monatliche Gehaltsscheck, der uns dazu bringt, jeden Tag zur Arbeit zu gehen? Oder setzt sich Motivation aus vielen Einzelfaktoren zusammen wie zum Beispiel, die Vorfreude auf den ersten Kaffee, unterhaltsame Gespräche mit Kollegen oder auf Herausforderungen, deren Meistern das eigene Können beweisen? Die Maslowsche Bedürfnispyramide versucht eine Antwort auf diese Fragen zu liefern. Auf physiologische Grundbedürfnisse folgen Sicherheitsbedürfnisse, soziale Bedürfnisse, Ich-Bedürfnisse wie Macht, Status und Anerkennung und letztlich der Wunsch nach Selbstverwirklichung. Vor allem die beiden letztgenannten Ziele sind schwer greifbar und im normalen Arbeitsalltag als Anreizsysteme schwer zu verankern. Wie Gamification einen Beitrag dazu leisten kann, analysieren wir im Folgenden.

Extrinsische Motivation vs. intrinsische Motivation
Es gibt unendlich viele Motivationstheorien, die alle eines gemeinsam haben – sie unterscheiden zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation. Im ersten Fall entstehen Impulse durch äußere Reize wie zum Beispiel der Wunsch nach Belohnung oder Vermeiden einer Bestrafung. Intrinsische Motivation dagegen entsteht aus der Aufgabe selbst heraus. Die Aufgabe macht zum Beispiel Spaß, ist sinnvoll oder herausfordernd und weckt das eigene Interesse, weshalb man sie um ihrer selbst willen gerne durchführt. Neuere Studien beweisen, dass materielle Anreize dieser Art der Motivation stark unterlegen sind. Werden User lediglich durch Rabatte oder Boni motiviert, entsteht meist ein kurzfristiger Anreiz, der nicht lange anhält. Schafft man es dagegen, den Nutzer über den externen Einfluss hinaus intrinsisch zu motivieren, hallt der Effekt noch lange nach. Laut der Selbstbestimmungstheorie von Ryan und Deci kann durch die Förderung von Kompetenz, Autonomie und Zusammengehörigkeit, die Motivation langfristig intrinsisch gesteigert werden. Kompetenzerleben kann im Gamification-Kontext durch optimale Herausforderungen und leistungsbezogenes Feedback entstehen. Autonomie erfährt der User wiederum durch Freiwilligkeit und die Bereitstellung von Wahlmöglichkeiten - zum Beispiel konfigurierbare Avatare. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht dann, wenn der User sich als bedeutsamer Teil eines Teams fühlt.

Wenn der spielerische Gedanke im System fest verankert ist und diese drei Aspekte Anwendung finden, kann also bei der Nutzung einer Gamification-Anwendung intrinsische Motivation entstehen. Wird die Bindung und Weiterempfehlungsbereitschaft des Nutzers dadurch gesteigert, hat man als Gamification-Agentur alles richtig gemacht. Natürlich funktioniert Gamification vor allem dann, wenn man eine Aufgabe sowieso erledigen muss. Bei der App „Epic Win“ handelt es sich beispielsweise um eine gamifizierte To-Do-Liste. Wenn man alle selbst erstellten Aufgaben abgearbeitet hat, jubelt der (selbst erdachte) Avatar, erhält Punkte und wird stärker. Solche Systeme funktionieren gut – wer wird nicht gerne für die Erstellung seiner Steuererklärung bejubelt? Die Königsklasse der Spieleentwicklung besteht allerdings darin, den User dazu zu bringen, eine Aufgabe um ihrer selbst willen gerne zu erledigen, so dass keine externen Anreizsysteme mehr benötigt werden. In einem Zeitalter, in dem Belohnung und Strafe als Motivationssysteme schon lange nicht mehr ausreichen und stupide Befehlsausführung von hinterfragender Sinnsuche verdrängt wird, hat Gamification also eine durchaus wichtige Aufgabe zu erfüllen.
Fehlannahme Homo Oeconomicus – Gamification im Arbeitsumfeld
Ein französisches Sprichwort sagt: „Arbeit, die Freude macht, ist schon zur Hälfte fertig.“ Eigentlich ein ganz einfaches Konzept – wer mehr Spaß an der Arbeit hat, leistet auch mehr. Da der Mensch das wichtigste Kapital im Unternehmen ist, ist es für Entscheidungsträger umso wichtiger zu verstehen, was ihn eigentlich motiviert. Dabei geht der typische Betriebswirt davon aus, dass sich Menschen rational verhalten und zu erledigende Aufgaben aus Prinzip heraus effizient erledigen. Dieser Fehlannahme des Homo Oeconomicus ist es geschuldet, dass ein passionierter Online-Spieler vermutlich mehr Verständnis in Managament-Techniken mitbringt als ein Student der Wirtschaftswissenschaften. Die typisch deutsche asketische Einstellung zur Arbeit, die man vernünftig, pünktlich und pragmatisch zu erledigen hat, ist schon lange passé. Warum sich mit der Ernsthaftigkeit des Lebens motivieren, wenn man auch spielerisch an die Dinge herangehen kann? Die logische Konsequenz sollte lauten, den dem Menschen angeborenen Spieltrieb ökonomisch zu nutzen und Gamification im Unternehmen anzuwenden.
So wird Wissen um Game-Mechanismen zum zunehmend wichtigen Skill und zur echten virtuellen Strategie für den realen Markt. Aber Vorsicht! Die menschliche Natur ist zwar seit jeher auf den Wettbewerb mit anderen Individuen ausgerichtet – aber Wettbewerb ist nicht alles. Eine Rangliste wird niemals ein gutes Arbeitsklima, einen fairen Chef und kostenfreien Kaffee ersetzen können. Beschränkt man Gamification im Unternehmen lediglich auf Punktesysteme und Ranglisten, kann das böse nach hinten losgehen. „Vitality Curve“ von Microsoft teilte beispielsweise die Mitarbeiter in Kategorien ein, von sehr produktiv bis richtiggehend faul. Bereits nach kurzer Zeit wurden Beschwerden laut, die Ranglisten seien destruktiv und resultierten in einer permanenten Konkurrenzsituation. Ein Jahr später wurde „Vitality Curve“ wieder abgeschafft. Ein weiterer Fehler, der hier begangen wurde, war die fehlende Freiwilligkeit der Teilnahme. Das Recht auf Selbstbestimmung darf keinem Nutzer genommen werden. Es kann sogar kontraproduktiv sein, die verpflichtende Teilnahme am Gamification Konzept zu fordern – wer sich gezwungen fühlt, verliert die Freude an fast jeder Tätigkeit. Insbesondere auch im Hinblick auf mögliche Datenabfragen im Rahmen von Spieleanwendungen ist dieser Aspekt nicht zu vernachlässigen.

Schöne neue Spielewelt? – Gamification im Alltag
Spaß kann das Verhalten verändern – eine wenig philosophische Erkenntnis. Es ist nun einmal toller, vor einer (imaginären) Horde Zombies davonzulaufen als sich schweißgebadet nur um der lieben Kalorien willen zum Ziel zu kämpfen. Genau deshalb funktionieren Apps wie „Zombies, Run!“ so gut. Weil der innere Spieltrieb Teil unserer DNA und Spaß ein wichtiger Bestandteil eines erfüllten Lebens ist. Unser Alltag ist dermaßen durchgetaktet, dass wir für Spaß allerdings oft keine Zeit haben. Nichts ist mehr dem Zufall überlassen. Wir werden permanent und hartnäckig an Geburtstage und Verabredungen erinnert. Ein wöchentlicher Wecker mahnt uns, Oma anzurufen. Wer sich mal verläuft hat selbst Schuld, weil er zu doof ist, Google Maps zu nutzen. Und wer nicht auf dem aktuellen Stand beim politischen Tagesgeschehen ist, der ist offensichtlich nicht in der Lange, Push-Benachrichtigungen einzurichten. Es wird permanente Aufmerksamkeit gefordert, genauso wie ständige Verfügbarkeit und das ununterbrochene Auf-dem-Laufenden-sein. Gamifizierte Anwendungen helfen ungemein dabei, sich diesem Diktat zu unterwerfen. Spiele haben die Eigenheit, die Dinge zu vereinfachen. Sie machen eine verwirrende und überladene Realität überschaubarer. In Unsicherheit und Unüberschaubarkeit, die die digitale Welt mit sich bringt, lassen wir uns einerseits gerne von Spielen ablenken – und andererseits auch Verantwortung nehmen. Wer mit einem Spiel beschäftigt ist, der hat erst einmal keine Zeit für etwas anderes. Und wie genial wäre es, wenn dieses Spiel, das eigentlich ablenken soll, uns bei unseren Aufgaben auch noch voranbringen könnte? Solche Anwendungen zu entwickeln ist der heilige Gral einer jeden Gamification-Agentur und bei jedem Kunden und jeder Zielgruppe auf andere Art und Weise zu erreichen. Ziel ist es letztendlich, das verstaubte Image des Spiels als Alltagsflucht zu erneuern, um Games in den Alltag zu integrieren und deren Motivations-Power effektiv zu nutzen.
Sollten wir irgendwann einmal alle Google Glass auf der Nase tragen – eine Schnittstelle in Brillenform zwischen realer und virtueller Welt – dann wird jeder langweilige Morgen zu einem Abenteuer. Schon bevor wir morgens das Bett verlassen, haben wir einen Flug über den Grand Canyon hinter uns, für drei Sit-ups nach dem Aufstehen belohnt uns frenetischer Jubel, wenn wir auf dem Weg zu U-Bahn die Treppe nehmen, sehen wir die pro Stufe verbrannten Kalorien vor uns und im heruntergekommenen Viertel wandern wir schließlich durch eine wunderschöne Blumenwelt und verweilen dort etwas. Halt, das ist aber nicht effizient, denken Sie? Das muss es nicht. In einer Welt, in der wir alles optimieren, selbst die Lebensführung, sollten wir uns auch einmal eine Pause gönnen und spielen – um des Spielens willen.